Eine Suche im Internet nach „verstaubte Lehrpläne“
oder „Lehrpläne entstauben“ führt in den allermeisten
Fällen in die muffigen Ecken vergangener Ideologien, gewissermaßen
zu einer Art Internationale der Leistungsdrücker. Der Grundtenor
lautet, dass die Lehrpläne unserer Schulen abgefegt werden müssen.
Erstaunlicherweise wird nirgendwo angemerkt, wo denn der Staub liegt.
Soll in Geschichte das Mittelalter ausgeblendet werden, jene Zeit, in
der das heutige Europa seine Wurzeln hat? Sollen in Physik die Schwerkraft,
die elektrische Ladung oder das Thermometer unter den Tisch fallen?
Soll man in Biologie auf den Zellkern verzichten? Darf der Bau und die
Funktion einer Blüte zum entbehrlichen Wissen gezählt werden?
Was ist in Literaturgeschichte wertlos? Goethe, Schiller, Lessing? Soll
und darf man im Gymnasium die Bücher des SS-Soldaten Günter
Grass lesen? Was ist an der Musik verstaubt? Mozart, Mendelssohn, Mahler?
Bach, Beethoven, Bruckner? Kroatische Volkslieder, Weihnachtslieder,
Studentenlieder?
Natürlich sind mit den verstaubten Lehrplänen unterschwellig
der Mathematik- und der Lateinunterricht gemeint. Wozu braucht man Trigonometrie
und Latein? Diejenigen, die den unmittelbaren Nutzen dieser Fächer
in Frage stellen, können offenbar nicht begreifen, dass es bei
der Allgemeinbildung nicht nur um ein Anhäufen von Wissen, sondern
auch um ein Training des Denkens geht. Mathematik schärft das logische
Denken, Latein mit seiner strengen Grammatik bildet wie keine andere
Sprache eine harte, aber höchst wirkungsvolle Denkschule. In den
Naturwissenschaften lernt man unsere Welt, in Geschichte unsere Vergangenheit
und in Musik und bildnerischer Erziehung das innere Wesen von Hören
und Sehen verstehen.
Es ist kein Zufall, dass der überwiegende Teil der Nobelpreisträger
und aller anderen Spitzenforscher aus allgemein bildenden Schulen (bei
uns sind das die Hauptschulen und Gymnasien) kommt. Allgemeinbildung
kann nie verstaubt sein. Wer die Sache durchdenkt, kommt zur Erkenntnis,
dass es keine uninteressanten Themen gibt. Es gibt nur uninteressante
Menschen.
Die Forderung nach der „Entstaubung von Lehrplänen“
ist bei genauerer Betrachtung eine bildungsfeindliche Forderung. Fast
genauso bedenklich ist die Ankündigung von (nivellierenden) „Bildungsstandards“.
Standards gibt es längst in Form von Lehrplänen, es fehlt
an manchen Schulen nur an der Umsetzung.
Es gibt wirkungsvolle Maßnahmen, die Misere an unseren Schulen
in den Griff zu bekommen, wobei zu bedenken ist, dass die meisten (nicht
nur einige wenige) Volks- und Hauptschulen sowie Gymnasien in Österreich
Spitzenleistungen erbringen.