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23. April 2024


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TSCHERNOBYL


Die vier RBMK-1000-Reaktoren von Tschernobyl waren Fehlkonstruktionen. RBMK-1000 ist die russische Abkürzung für "graphitmoderierter, wassergekühlter Siedewasser-Druckröhrenreaktor". Die Zahl 1.000 bezeichnet die elektrische Leistung in Megawatt im Regelbetrieb. Die Wärmeleistung betrug ungefähr das Dreifache.

Die RBMK-1000-Reaktoren hatten keine Sicherheitsbehälter wie im Westen. Ein Problem bestand auch darin, dass reiner Kohlenstoff (Grafit) anstelle von Wasser als Moderator verwendet wurde. Moderatoren bringen die Neutronen auf die für eine Kernspaltung benötigte Geschwindigkeit. Zu schnelle Neutronen fliegen durch Atomkerne hindurch, zu langsame Neutronen bleiben in Atomkernen stecken.

Am 26. April 1986 nachmittags sollte ein Sicherheitstest im Reaktorblock 4 durchgeführt werden. Dieser Test hätte laut Vorschrift bereits vor Inbetriebnahme des Reaktors Jahre zuvor durchgeführt werden müssen. Mehrere Tests waren fehlgeschlagen, nun wurde ein neuer Versuch gestartet. Es sollte überprüft werden, ob bei einem Ausfall der Umwälzpumpen die leer laufende Turbinen-Generator-Welle genug Rotationsenergie besitzt, um bis zum Anlaufen der Dieselaggregate Strom zu erzeugen.

Für den Test musste die Leistung des Reaktors abgesenkt werden, doch der Lastverteiler in Kiew forderte am Nachmittag des 26. April mehr elektrische Leistung an. In den Fabriken der Region wurde am Monatsende im Akkord gearbeitet. Der Leerlauftest wurde auf die Nachtstunden verschoben.

AZ-5

Ein RBMK-1000-Reaktor läuft bei hoher Leistung stabil. Temperatur, Gasblasenbildung und das bei der Kernspaltung entstehende Edelgas Xenon stören den Reaktorbetrieb nicht. Senkt man die Leistung durch Einfahren der Regelstäbe ab, wird der Reaktor weniger stabil und beginnt – laienhaft ausgedrückt – zu wabern. Er verhält sich wie ein Benzinmotor, der untertourig gefahren wird. Sicherheitssysteme regulieren diese Ungleichgewichte automatisch, aber die Sicherheitsautomatismen waren wegen des Tests ausgeschaltet. Wabernde Hitze, unkontrollierte Dampfblasenbildung und zu viel Xenon ließen die Reaktorleistung unerwartet ansteigen. Einer der Reaktoringenieure erkannte die Gefahr und drückte auf den Schnellabschaltknopf "AZ-5", worauf alle Regelstäbe in den Reaktor sanken. Der vordere Teil der Stäbe war nicht aus Bor, sondern aus Grafit. Die Zahl der moderierten Neutronen nahm blitzartig weiter zu, die Leistung des Reaktors stieg um das Tausendfache. Wie viele Tote die unvermeidliche Explosion zur Folge hatte, ist bis heute unbekannt.



© 2021 Rudolf Öller, Bregenz  [/2021/roe_2136]


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