Die Sonne stand schon tief, als Don ganz vorne Gas gab. Die Tachonadel meines Motorrades kletterte dabei bis auf Tempo 90 - Meilen pro Stunde, nicht km/h. Wie sich das bei sechs Grad Außentemperatur auf einer Harley-Davidson ohne Windschutzscheibe anfühlte, können nur Motorradfahrer erahnen. Don, unser Reiseleiter, wollte noch vor Einbruch der Dunkelheit den kleinen Ort Mammoth Lake in der kalifornischen Sierra Nevada erreichen. Vor dem Hotel gab es, so wie jeden Abend, Bier für alle Biker. Auf die Frage, wie es mit den Tempolimits und dem Alkoholverbot in der Öffentlichkeit aussieht, meinte Don cool, dass wir in Kalifornien seien. Die Sache kümmere hier niemanden, solange wir nicht randalierten oder den Verkehr behinderten, was bei dem Tempo ja nicht der Fall wäre.
Kalifornier sind anders und denken anders. „Think Big“ ist kalifornisch. Man muss dort gewesen sein, um diese freie Atmosphäre zu erleben. Flower power und Gay communities konnten nur in Kalifornien zur Entfaltung kommen. Auch Hollywood, Apple, Facebook, Google, das Silicon Valley, all das passt zum „Golden State“. Das Internet – damals hieß es noch „ARPANET“ – ging in Kalifornien in Betrieb, und die in den Siebzigerjahren entstandene Gentechnik wurde in einem kleinen Kurort an der kalifornischen Pazifikküste erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten, wie etwa die weltweit größte Konzentration von Pornoproduzenten in Los Angeles.
Die USA hat zwei große Wissenschaftsregionen. Das ist der Osten mit Harvard, Massachusetts Institute of Technology (MIT), Yale, Princeton, Columbia und anderen Universitäten. Die andere Region liegt in Kalifornien mit Stanford nahe San Francisco, University of California in Los Angeles und Berkeley, California Institute of Technology (Caltech) und anderen. Das Caltech in Pasadena führt übrigens alle internationalen Rankings an.
In Monterey, einer Kleinstadt am Pazifik, verfolgte ich eine TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump. In Kalifornien erregte das die Leute weniger, als dies bei uns dargestellt wird. Die Amerikaner sind mehrheitlich bürgerlich orientiert, daher gehen die „political correctness“ und der Genderismus den Menschen zunehmend auf die Nerven. Clinton gilt als „liberal“ - das Wort hat in den USA eine andere Bedeutung - und als unbeliebte Vertreterin des Systems. Trump ist ein niveauloser und aggressiver Schwadroneur, aber seine politische Unkorrektheit hat den Nerv vieler Menschen getroffen. Political correctness und Genderismus werden zunehmend als Spießigkeit und als gefährlicher Hemmschuh für Wissenschaft und Kunst wahrgenommen. Dieser Trend wird zeitverzögert auch nach Europa kommen.