Erfolgreiche Wissenschaftler werden allseits bewundert, trotzdem sind sie nicht immun gegenüber Naivität. Nachdem die Genetiker in den Neunzehnhundertsiebzigerjahren gelernt hatten, Gene aus dem Erbgut herauszuschneiden und anderswo wieder einzubauen, machten sofort die Geschichten von der eierlegenden Wollmilchsau die Runde. Einige Genetiker versprachen die Erschaffung noch völlig unbekannter Lebewesen: der Wolpertinger (ein bayrisches Fabelwesen) aus dem Labor.
Nachdem die Biochemiker erkannt hatten, dass die Sache nicht so einfach ist, wie zunächst vermutet worden war, beschränkten sich die Gentechniker auf die Bakterien. Insulin ist ein im menschlichen und tierischen Stoffwechsel unverzichtbares Enzym, das den Zucker im Blut abbaut, denn reiner Zucker im Blut ist Gift. Insulin als Medikament ist für Zuckerkranke lebenswichtig. Nachdem das Gen für menschliches Insulin in Bakterienstämme eingebaut worden war, produzierten die Bakterien zunächst nichts. Es stellte sich heraus, dass das Insulin-Gen zwar arbeitete, dass das produzierte Insulinmolekül aber falsch gefaltet wurde und somit nicht funktionierte. Es dauerte, bis die Biologen verstanden, dass ein und dasselbe Gen in zwei verschiedenen Lebewesen nicht in gleicher Weise umgesetzt wird. Heute funktionieren die gentechnisch veränderten Bakterien, aber der technische Aufwand ist größer als erwartet.
Die Gentechnik ist zwar eine erfolgreiche Sparte der Biologie, aber von den ursprünglich versprochenen „Wolpertingern“ ist man so weit weg wie die bemannte Raumfahrt vom Andromeda Nebel. Ökologen und Evolutionsgenetiker wissen schon seit einem halben Jahrhundert, dass Lebewesen ihre Umwelt beeinflussen und die Umwelt wiederum auf die Lebewesen in komplizierter Weise zurück wirkt. Sogar die Erbmasse ist ein äußerst vielschichtiges System. Ändert sich nur ein einziges Gen, so hat das nicht vorhersagbare Auswirkungen auf andere Gene. Das wissen wir aus aus zigtausenden Experimenten. Dreht der Genetiker an einem Rädchen, drehen sich weitere Rädchen in verschiedene Richtungen. Die Natur widersetzt sich hartnäckig und erfolgreich jeder Gleichmacherei.
Die menschliche Gesellschaft ist ein Spiegelbild der biologischen Vielfalt. Ich habe vor Jahren an dieser Stelle geschrieben, dass Kaiser, Könige, Fürsten, Inquisitoren, Diktatoren und andere Machthaber die menschliche Freiheit durch verordnete Gleichmacherei einzuschränken versuchten, aber keinem ist das jemals gelungen. Der Grund liegt darin, dass gleiche Erziehung nie gleiche Menschen erzeugt. Den Einheitsmenschen wird es niemals geben. Wer davon träumt, ist entweder gefährlich oder naiv, meist beides.