Der Nobelpreis für Physiologie und Medizin geht in diesem Jahr an den britischen Forscher John B. Gordon und an den Japaner Shinya Yamanaka. Der Preis wurde für Arbeiten zur „Reprogrammierung von ausdifferenzierten, adulten Zellen in Richtung pluripotenter Stammzellen“ vergeben. Die Nachrichtenagenturen kopieren die Meldung, geben sie weiter, aber kaum jemand weiß, worum es eigentlich geht.
Alle Menschen sind aus einer befruchteten Eizelle, einer so genannten Zygote, entstanden. Diese Zelle teilt und teilt sich weiter, bis eine winzige Hohlkugel entsteht, die man als Blastula oder Blastozyste bezeichnet. Diese nistet sich in der Gebärmutter ein und schickt sich an, ein kompletter Mensch mit Hirn, Herz und Darm zu werden. Das Interessante an der Sache ist, dass der Mensch aus Nerven-, Muskel-, Haut- und Bindegeweben besteht, die alle aus einer einzigen winzigen Zelle stammen. Die ersten Zellen am Beginn des Lebens sind somit wahre Giganten der Biotechnik. Sie lassen zunächst ein umfangreiches Testprogramm laufen. Wird der Test nicht bestanden, stirbt die Zelle. Etwa die Hälfte aller befruchteten Eizellen schafft es nicht bis zur Einnistung. Die überlebenden Zellen schalten dann der Reihe nach hunderte Gene ein und wieder aus. Solange diese jungen Zellen sämtliche Register der Gensteuerung beherrschen, gewissermaßen alles können, sind sie Stammzellen. Nach einigen Zellteilungen beginnt eine Spezialisierung. Die Biologen nennen das „Differenzierung“.
Stammzellen sind bei Biologen begehrt, weil sie genetische Alleskönner sind. Differenzierte Zellen sind hochgradige Spezialisten. Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse können nichts außer Insulin erzeugen, und Nervenzellen können nur Signale empfangen und weiterleiten. Man hofft, Stammzellen eines Tages so programmieren zu können, dass sie kranke Herzmuskelzellen ersetzen, eine Netzhaut im Auge reparieren oder Alzheimer heilen können. Das ist noch Zukunftsmusik, aber eine hoffnungsvolle. Das Problem bei Stammzellen lag bisher in der Gewinnung, denn man musste Embryonen im Frühstadium verletzen oder töten, um an dieses begehrte Rohmaterial heranzukommen.
Vor sechs Jahren ist es erstmals gelungen, menschliche Hautzellen in Stammzellen umzuprogrammieren. Biologen nennen das „induced pluripotent stem cells“ (induzierte pluripotente Stammzellen - iPS). Um iPS herzustellen, war es nötig, fremde Gene in die Zellen einzuschleusen. Das ist nicht unproblematisch, weil dazu Viren verwendet werden müssen, aber die Forschung bleibt nie stehen. Der Nobelpreis für die beiden Stammzellenpioniere ist gerechtfertigt, weil der Wissenschaft völlig neue Instrumente zur Verfügung gestellt wurden.