Der diesjährige Nobelpreis für Physik wurde für die
Herstellung und die Isolierung eines Moleküls vergeben. Auf den
ersten Blick mag das überraschen, denn Moleküle gehören
in das Reich der Chemie. Betrachtet man die Entwicklung der Naturwissenschaften
genauer, so ist seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Zusammenwachsen
der Disziplinen Biologie/Medizin, Chemie und Physik zu beobachten. Für
die Herstellung oder Entschlüsselung von Molekülen wurden
immerhin auch schon Medizinnobelpreise vergeben.
Zwei Russen, die an einer der englischen Eliteinstitute arbeiten, Andre
Geim und Konstantin Novoselov, haben eine neues Kohlenstoffmolekül
namens „Graphen“ (das Wort wird auf dem e betont) „erzeugt,
isoliert, identifiziert und charakterisiert“, wie das Nobelpreiskomitee
verlauten ließ.
Das Kohlenstoffatom ist, wie alle Schüler in Chemie lernen, ein
vierwertiges Element, das sich leicht mit Wasserstoff, Sauerstoff und
anderen Elementen verbindet und äußerst komplizierte Moleküle
aufbauen kann. Der Kohlenstoff (chemisches Zeichen C vom lateinischen
„carbo“ = Kohle) ist daher das zentrale Element aller biochemischen
Moleküle. Man findet ihn im Kohlendioxid, in allen Zuckern, in
allen Alkoholen, in allen organischen Säuren, in allen Proteinen,
in allen Nukleinsäuren, kurzum, in allen Biomolekülen.
Kohlenstoff als Element war bis in die Achtzigerjahre nur in zwei Erscheinungsformen
bekannt, Graphit und Diamant. Beim Graphit ist jedes C-Atom in einer
Ebene mit drei anderen C-Atomen verbunden. Zu den Ebenen darüber
und darunter existieren nur lockere Bindungen, wodurch sich die Schichten
leicht ablösen lassen. Das macht man sich beim Bleistift zunutze.
Beim Diamant sitzt jedes C-Atom in einem Tetraeder (eine gleichseitige,
dreikantige Pyramide) und ist fest mit vier anderen C-Atomen verbunden.
Die Isolierung einzelner Schichten von Kohlenstoffatomen hielt man lange
für unmöglich, bis Geim und Novoselov dieses Kunststück
mit einem simplen Klebeband gelang. Sowohl die Physiker als auch die
Chemiker waren be-geistert, weil diese dünne Schicht aus Atomen
unerwartete Eigenschaften zeigte.
Graphen ist, obwohl unsichtbar dünn und somit durchsichtig, relativ
fest und leitet wegen überzähliger Elektronen den elektrischen
Strom besser als Kupfer. Elektroniker denken bereits an die Beschichtung
von Bildschirmen und an eine neue Verwendung für Kohlenstoff, wie
etwa neue Computerchips, in denen Kohlenstoff die Stelle des altbekannten
Siliziums einnimmt. Wenn man Graphen aufrollt, entstehen so genannte
Nanoröhren, als Kugeln bilden sie die „Fullerene“.
Dafür gab es schon einmal einen Nobelpreis, und zwar 1996 in Chemie.