Das Schuljahr neigt sich dem Ende zu, die Schulnoten sind eingetragen
und die Landesschulräte werden mit Noteneinsprüchen zugedeckt.
Die Vorzugsschüler är-gern sich vielleicht über ein einzelnes
Befriedigend auf ihrer ansonsten weißen Zeugnisweste, andere trösten
sich mit der Gewissheit, dass ein Genügend das Sehr gut des kleinen
Mannes ist.
Manche beruhigen sich mit Geschichten kluger Köpfe, die angeblich
Schulversager waren. Das beliebteste Opfer ist Albert Einstein. Er redete
als Kind so selten, dass ihn das Kindermädchen nur „den Depperten“
nannte. Seine Freunde nannten ihn „Bruder Langweil“. Einstein
selbst sagte einmal über sich: „Übrigens weiß
ich ganz genau, dass ich selbst gar keine besondere Begabung habe. Neugier,
Besessenheit und eine sture Ausdauer, verbunden mit Selbstkritik, haben
mich zu meinen Gedanken gebracht.“ Die Geschichten vom schlechten
Schüler Einstein werden gerne erzählt, sind jedoch allesamt
frei erfunden. Einstein versuchte im Alter von 16 Jahren eine Aufnahmsprüfung
an der Schweizerischen Eidgenössischen Polytechnischen Schule und
fiel durch, weil er zu jung war. Daraufhin wurde ihm empfohlen, die
Matura zu machen, was er an der Kantonsschule in Aarau problemlos schaffte.
Einstein schimpfte ein Leben lang über den Drill an deutschen Schulen
und lobte die Schulen der Schweiz. Als schon zu Einsteins Lebzeiten
Gerüchte auftauchten, wonach er ein schlechter Schüler gewesen
sei, veröffentlichte sein ehemaliger Direktor in München Einsteins
Noten. Es waren ausnahmslos gute Noten. Die falsche Legende vom Sitzenbleiber
Einstein lebt trotzdem weiter.
Einsteins Verdruss mit der Schule lag darin, dass er sich in Deutschland
nicht wohl fühlte. Wissenschaftlich sorgfältig durchgeführte
Untersuchungen zeigen auch heute, dass nicht unser Schulsystem krankt,
sondern dass zu viele Schüler in den falschen Schulen sitzen. Nicht
jeder ist für einen Handwerksberuf, nicht jeder für einen
Kunstberuf, nicht jeder für eine Matura oder einen wissenschaftlichen
Beruf geeignet. Auch der beste Förderunterricht kann fehlende Begabung
nicht ausgleichen.
Winston Churchill, George Bernhard Shaw, Franz Kafka, Robert Musil,
Hermann Hesse – sie alle litten unter den falschen Schulen und
wären fast verzweifelt. Ein durchlässiges Schulsystem mit
unterschiedlichen Begabungs- und Leistungskriterien ist daher besser
als eine uniforme „gemeinsame Schule“. Echte Schulversager
sind nur diejenigen, die an mehreren Schulen scheitern, wie Adolf Hitler.
Nach einer Odyssee durch etliche oberösterreichische Schulen enthielt
sein letztes Zeugnis in der 4. Klasse des Gymnasiums Steyr siebenmal
die Note Nicht genügend.