Die Nachrichtenmedien verwenden Superlative, wenn von der neuen Beschleunigermaschine
bei CERN in Genf die Rede ist. Es ist die teuerste, die größte,
die komplizierteste, die kälteste und gleichzeitig die heißeste
Maschine. Magnetfelder treten auf, die dreihundert Tonnen schwere Stahltore
um mehrere Millimeter verbiegen. Zur Abschirmung eines einzigen Detektors
wurde mehr Stahl verwendet als beim Bau des Eiffelturms. In dieser Tonart
geht es weiter, und merkwürdigerweise sind diese Beschreibungen
alle richtig. Die Maschine ist ein veritables technisches Monster. Sie
heißt LHC („Large Hadron Collider“) und kann frei
mit “Große Schwerteilchenkanone“ übersetzt werden.
Die Physiker des LHC produzieren keine weltverschlingenden schwarzen
Löcher, wie ängstliche Zeitgenossen befürchten. Sie suchen
die allerkleinsten Bausteine der Welt. Die gesamte Materie besteht aus
zwei Teilchenfamilien, den Quarks und den Leptonen. Die Quarks bilden
Protonen, Neutronen und andere schwere Teilchen. Zu den Leptonen (griechisch
leptos = leicht) zählen Elektronen, Neutrinos und andere. Zwischen
den Teilchen wirken Kräfte, diese werden durch spezielle Kräfteteilchen
übertragen. Die bekanntesten sind die Photonen, die für alles
vom Radio über Licht bis UV und Röntgen verantwortlich sind.
In der Quantenphysik gilt die Faustregel, wonach die Reichweite einer
Kraft umso größer ist, je kleiner die Masse der Überträgerteilchen
ist. Lichtteilchen haben die Ruhemasse null, sie reichen (theoretisch)
bis unendlich. Im winzigen Atomkern ist es umgekehrt. Hier herrschen
außergewöhnlich große Kräfte über unfassbar
kurze Distanzen. Um das zu knacken, muss man monströse Maschinen
bauen, eben den LHC.
An der neuen CERN-Supermaschine wurde letzte Woche nur der Startschlüssel
gedreht. Man wollte lediglich testen, ob Motor und Getriebe funktionieren.
Vom Vollgas, geschweige denn vom Turbo, kann noch keine Rede sein. Erst
wenn der LHC-„Bleifuß“ in Aktion tritt, kann man genauere
Details über die Entstehung der Materie erfahren.
Das beste allgemein verständliche Buch, das je über Hochenergiephysik
geschrieben wurde, ist „Das schöpferische Teilchen“
des Nobelpreisträgers Leon Lederman. In diesem humorvoll verfassten
Werk geht es nicht nur um das bei CERN intensiv gesuchte „Higgs-Boson“
sondern auch um die technische und philosophische Bedeutung der Teilchenbeschleuniger.
Ein Bonbon gibt es übrigens für die Rapper. Wer auf der Internetseite
YouTube als Suchbegriff „Large Hadron Rap” eintippt, erfährt
alles Wesentliche von einer jungen CERN-Physikerin: Rhythmisch und gleichzeitig
spacecool – nahe am absoluten Nullpunkt bei minus 273,15 Grad
Celsius.