In Verschwörungsvermutungen deutschnationaler Kreise wird gerne
und regelmäßig verkündet, dass Deutschland 1945 über
fertig gestellte Atombomben verfügte, diese aber nicht mehr einsetzten
konnte oder wollte. Die drei Bomben von New Mexico, Hiroschima und Nagasaki
seien „in Wahrheit“ keine amerikanische Entwicklung sondern
lediglich eine deutsche Kriegsbeute gewesen. Immerhin hat Deutschland
im Mai 1945 kapituliert, die erste Bombe (Trinity) ist zwei Monate später,
am 16. Juli 1945, detoniert. Das könne doch kein Zufall sein.
Als weitere Argumente für eine deutsche Atombombe werden angeführt,
dass die Atomkernspaltung erstmals in Deutschland gelang, dass Deutschland
die erste Großrakete der Welt (Wernher von Brauns V2) in einem
ballistischen Flug bis in den Weltraum geschossen hat und über
die besten theoretischen Physiker sowie eine große Zahl brillanter
Techniker verfügte. Weiters wird als „Beweis“ angeführt,
dass Deutschland im besetzten Belgien Zugriff auf die Uranvorräte
aus Belgisch-Kongo hatte. Erwiesen ist weiters, dass Deutschland einen
geheimen atomaren Forschungsreaktor in der Nähe des Ortes Haigerloch
auf der Schwäbischen Alb betrieben hatte.
Auf den ersten Blick erscheinen diese Argumente plausibel. Von Brauns
Rakete war tatsächlich das erste Geschoß, das die Atmosphäre
verlassen hat, aber das hat nichts mit der Atombombe zu tun. Werner
Heisenberg war einer der genialsten Physiker des 20. Jahrhunderts, aber
ein Genie allein macht noch keine Bombe. Schließlich nützen
Uranvorräte allein noch nichts. Das spaltbare Uran-235 ist im Erz
nur in sehr geringer Menge vorhanden, es muss in konzentrierter Form
(angereichert) vorliegen, um als Bombensprengstoff zu taugen. Man kann
auch das in der Natur häufig vorkommende Uran-238 in das spaltbare
Element Plutonium-239 umwandeln. Für all das benötigt man
gewaltige Fabrikanlagen. Alle Länder, die spaltbares Material produzieren,
verfügen über solche Betriebe. Nazi-Deutschland hatte nichts
dergleichen.
Es gab vor allem zwei Gründe, warum in Hitler-Deutschland die
Atombombe nicht gebaut werden konnte. Erstens hat man die großen
deutschen Wissenschafter (Heisenberg, von Ardenne, Gerlach, von Weizsäcker,
Harteck u.a.) nicht wie bei den Amerikanern zu einem schlagkräftigen
Team vereint, und zweitens war Hitlers wissenschaftlicher Berater, Philip
Lenard, ein glühender Judenhasser und Gegner der Atomphysik. Die
damaligen Atom- und Quantenphysiker waren großteils Juden: Albert
Einstein, Niels Bohr, Robert Oppenheimer, Leo Szilard, Edward Teller,
Richard Feynman und andere. Für Hitler war Atomphysik daher nichts
als mindere Judenwissenschaft.