In den letzten Wochen mag manchem Leser ein Schauer über den Rücken
gekrochen sein, als von embryonalen Mensch-Tierwesen, von so genannten
„Chimären“ zu lesen war. Der Begriff „Chimäre“
kommt aus dem Griechischen und bedeutet Ziege (Chimaira). Es handelt
sich um ein Ungeheuer aus der griechischen Mythologie. Chimäre
ist eine Tochter von Echidna und Typhon, ihre Geschwister sind Hydra,
Zerberus und Sphinx. Der Dichter Homer beschreibt die Chimäre als
Wesen mit einem Löwen- und einem Ziegenkopf, der Schwanz ist eine
Schlange. Eine nicht gerade friedliche Sippschaft.
In der Biologie versteht man unter Chimären Mischwesen, die aus
dem Erbgut verschiedener Zellsorten entstanden sind. Hybride sind etwas
anderes. Kreuzt der Züchter zwei Rassen einer Tier- oder Pflanzenart,
dann spricht man bei den Nach-kommen von Hybriden oder Bastarden. Sind
alle Hybride unfruchtbar, so hat man es mit verschiedenen Arten zu tun,
wie etwa Pferd und Esel, deren Nachkommen (Muli und Maulesel) sich nicht
weiter fortpflanzen können. Die Definition einer biologischen Art
lautet daher: Mitglieder einer Art (species) nützen einen gemeinsamen
Genpool. Der Genpool der einer Art (z.B. Pferd) ist vom dem einer anderen
Art (z.B. Esel) getrennt. Daneben gibt es auch Halbarten, von denen
sich nur ein Teil ihrer Nachkommen nicht fortpflanzen kann. Es handelt
sich dabei um neu entstehende Arten, die sich erst im Laufe der Evolution
vollständig trennen werden.
In der Biologie werden Chimären verschiedener Zellsorten schon
lange erzeugt. In der Botanik benutzt man sie zu Produktion bestimmter
Pflanzensorten. In der Medizin finden Chimären seit zwei Jahrzehnten
Anwendung bei der (nobelpreisgekrönten) Erzeugung monoklonaler
Antikörper. Es gibt auch natürliche Chimäre. Es kann
vorkommen, dass zwei befruchtete Eizellen im Mutterleib oder bei einer
künstlichen Befruchtung in vitro miteinander verschmelzen. Der
daraus entstehende Organismus besteht aus zwei Zellfamilien, die sich
in ihrer DNA unterscheiden.
Die öffentliche Kritik der letzten Wochen richtete sich gegen
die Entscheidung des britischen Parlaments, die Erzeugung von Mensch-Tier-Chimären
zu erlauben, nachdem genetisches Material aus menschlichen Hautzellen
in die Eizellen von Kühen eingebracht worden war. Dabei geht es
nicht um die Erzeugung monströser Tier-Mensch-Mischwesen (was wirklich
niemand will), sondern um genetische Grundlagenforschung im Bereich
der Stammzellen. Mit einem Frevel gegenüber der Schöpfung,
wie in einigen herben Stellungnahmen behauptet wird, hat die Sache –
noch – nichts zu tun, es sei denn, man bezeichnet die moderne
Biologie insgesamt als Frevel.