50+
Wir Alten haben es tatsächlich geschafft.
Kaum zu glauben, aber es ist so.
Ob es die Jungen schaffen, ist eine andere Frage.
Wenn man den Meldungen und Geboten, die uns die Medien und Gesetzgeber tagtäglich
vorbeten und verbieten, für bare Münze nähme, müssten wir
alle, die in den Fünfzigern bis Anfang der Achtziger aufgewachsen sind,
im Gefängnis sitzen oder tot sein.
Unsere Kinderbetten waren mit bleihaltigen Farben bemalt und Formaldehyd sickerte
aus jeder Pore. Ganz zu schweigen vom Tapetenleim, dem Kleber des Linoleums
oder den Dämpfen des Stragula. Wasserfeste Filzstifte hatten Ausdünstungen
die benebelten, und wer erinnert sich noch an den leicht salzigen Geschmack
des abzuleckenden Tintenkillers?
Steckdosen, Medizinflaschen, Schranktüren und Schubladen waren noch nicht
kindersicher. Messer, Schere, Gabel und Licht wurden uns zwar verboten, aber
meistens mussten wir uns erst einmal daran verletzten um es zu glauben. Unsere
Fahrräder, Roller und Rollschuhe fuhren wir ohne Schützer und Helme.
Die Risiken, per Anhalter in den nächsten Ort zu fahren, waren uns unbekannt!
Wasser haben wir direkt aus dem Gartenschlauch getrunken und nicht aus einer
Flasche. Grauenhaft!
Wir aßen fettige Schmalznudeln und frischgebackenes Brot mit Butter
darauf, dazu gab es überzuckerte Limonaden oder künstlich gefärbtes
Tri Top. Fett geworden sind wir nie, weil wir immer draußen waren. Wir
haben zu fünft aus einer Limoflasche getrunken und niemand ist daran gestorben.
Wir haben stunden- und tagelang an Seifenkisten oder ähnlichen Gefährten
geschraubt, die wir aus rostigem Schrott und splitterigem Holz konstruiert hatten.
Dann sind wir den Hügel damit runtergebrettert nur um festzustellen, dass
wir die Bremsen vergessen hatten. Nachdem wir ein paar Mal in der Böschung
gelandet waren, haben wir gelernt auch dieses Problem zu lösen. Wir gingen
in der Früh raus und haben den ganzen Tag gespielt, höchstens unterbrochen
von Essenspausen und kamen erst wieder rein, als es dunkel wurde und man den
Fußball nicht mehr richtig sehen konnte. Wir waren nicht zu erreichen.
Wir hatten keine Mobiltelefone!
Wenn es regnete spielten wir bei Freunden Monopoly oder Mensch ärgere
dich nicht, Mühle oder Dame und bauten mit Matchbox Autos ganze Städte
auf. Wir hatten weder Playstations noch Nintendo, X-Boxen oder Videospiele,
keine PCs, keine 50 Fernsehkanäle oder Surround Anlagen. Ins Kino zu gehen
war ein Ereignis, für das man sich herausputzte und das einem vor Vorfreude
den Magen kribbeln ließ. Es gab damals Vorfilme, die immer eine Überraschung
waren, weil keiner wusste was zu erwarten war. Wenn zufällig ein Donald
Duck oder Micky Maus Film dabei war, hatte man das große Los gezogen.
Wir hatten Freunde! Wir gingen raus und haben uns diese Freunde gesucht.
Wir haben Fußball gespielt mit allem was sich kicken ließ und wenn
einer einen echten Lederball hatte, war er der King und durfte immer mitspielen,
egal wie schlecht er war. Um im Verein mitspielen zu dürfen gab es Aufnahmeprüfungen,
die nicht jeder bestanden hat. Wer es nicht geschafft hat, lernte mit der Enttäuschung
umzugehen. Wir spielten Völkerball bis zum Umfallen und manchmal tat es
weh, wenn man abgeworfen wurde. Wir sind von Bäumen und Mauern gestürzt,
haben uns geschnitten, aufgeschürft und haben uns Knochen gebrochen und
Zähne ausgeschlagen.
Wir hatten Unfälle! Es waren einfach Unfälle an denen wir Schuld
waren. Es gab niemanden, den man dafür verantwortlich machen und vor den
Richter zerren konnte. Wer erinnert sich noch an Unfälle?
Unsere Knie und Knöchel waren von Frühjahr bis Herbst lädiert
und ein Schienbein ohne blaue Flecke gab es nicht. Wenn wir uns an Brennnesseln
gebrannt haben, oder uns eine Mücke gestochen hatte, haben wir entweder
drauf gespuckt, den Hund des Nachbarn drüber lecken lassen oder einfach
drauf gepinkelt. Geholfen hat alles.
Wir haben gestritten und gerauft, uns gegenseitig grün und blau geprügelt
und gelernt damit zu leben und darüber hinweg zu kommen. Wir haben Spiele
erfunden mit Stöcken und Bällen und haben mit Ästen gefochten.
Obwohl es uns immer wieder prophezeit wurde, haben wir kein Auge ausgestochen.
Mobiltelefone hatten wir keine! Um etwas mit Freunden zu besprechen, mussten
wir hinlatschen oder hinradeln, damit unsere Eltern uns nicht hören konnten.
Wenn die Straßenlichter angingen, hatten wir zu Hause zu sein. Kamen wir
später nach Hause, gab's einen befohlenen Rapport beim Vater mit Strammstehen.
Geschadet hat das nicht.
Manche Schüler haben eine oder zwei Klassen wiederholt. Das gab Ärger,
aber es galt im Gegensatz zu heute nicht als Superkatastrophe. Sie sind nicht
durchgefallen, sondern wurden von den Lehrern nur zurückgestuft. Zensuren
wurden nie manipuliert, egal aus welchen Gründen.
Wir waren für unsere Aktionen selbst verantwortlich. Konsequenzen waren
immer zu erwarten, wenn wir Scheiße gebaut hatten. Der Gedanke, dass ein
Elternteil - eventuell mit Hilfe eines Rechtsanwaltes - uns rausklopft, wenn
wir mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, war undenkbar. Im Gegenteil, die
Eltern stellten sich auf die Seite des Gesetzes.
Stellt euch das vor! Unsere Generation hat einige der größten Künstler
und Erfinder hervorgebracht. Die letzten 50 Jahre waren geradezu eine Explosion
an Innovationen und Ideen. Wir hatten Freiheit und Zwang, Erfolg und Misserfolg,
Verantwortung und Konsequenz. Und wir haben gelernt, damit umzugehen.
Wenn du vor 1970 zur Welt gekommen bist, dann erinnere dich daran, wie du
aufgewachsen bist, und du wirst sehen, was unseren armen, verwöhnten und
verweichlichten Kindern heute fehlt. Damals haben Eltern auch mal ein Auge zudrückten,
anstatt die Kinder mit übergroßer Vorsicht zu erdrücken.
Unsere Eltern trauten uns zu, Entscheidungen zu treffen. Oft hat es geklappt,
manchmal auch nicht. Die Entscheidungen, die daneben gingen, zählen wir
heute zu unseren Lebenserfahrungen.
Versteht ihr übertechnisierten Computer- und TV-kids des 21. Jahrhunderts
eigentlich, was das heißt?
Ihr verweichlichten, verwöhnten, mit Pommes und Hamburgern vollgestopften
und wegen eures Bewegungsmangels hyperaktiven Biester kennt nicht den Wind der
Freiheit! Vor 30 oder 40 Jahren hättet ihr keine 10 Minuten ohne seelische
Krise durchgehalten!
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