Thilo Sarrazin, ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, hat mehrere Bücher verfasst. Zuletzt erschien „Der neue Tugendterror“. Keines seiner Werke hat aber zu solch öffentlicher Erregung geführt, wie der 2010 erschienene Bestseller „Deutschland schafft sich ab“, in dem es um Migranten, europäische Traditionen und individuelle Unterschiede bei den Menschen geht. Es folgte daraufhin etwas, das man im Internetzeitalter einen „Shitstorm“ nennt. Die Hysterie war enorm, wahrscheinlich hat das zu den hohen Verkaufszahlen beigetragen.
Die Entrüstung um Thilo Sarrazin war so grotesk, dass sogar qualifizierte Journalisten ihre eigenen Kollegen verspotteten. Einer von ihnen, ein prominenter deutscher Redakteur, schrieb: „Die … verdammen bei Sarrazin besonders jene anstößigen Passagen, die er nicht geschrieben hat … und die erst mühsam rekonstruiert werden mussten, was sicherlich eine Heidenarbeit war.“
Es soll hier nicht um eine Kritik an Sarrazins Meinungen gehen, die wird in den Feuilletons der Printmedien und in TV-Talkshows abgeführt. Es muss aber um die Frage gehen, worin der Grund für diese seltsamen Aufregungen liegt.
Der Kern der Sache liegt Jahrzehnte zurück. Während die Marxisten die Ungleichheit in der Gesellschaft auf unterschiedliche Klassen zurückführten, zielte die nationalsozialistische Ideologie auf qualitativ unterschiedliche Rassen. Für Marxisten waren die gesellschaftlichen Unterschiede künstlich erzeugt, für Nationalsozialisten angeboren. Verfälschte Theorien von Charles Darwin (der Begründer der modernen Evolutionstheorie), die Erkenntnisse von Gregor Mendel (der Begründer der Genetik) und Legenden von germanischen Lichtgestalten kombiniert mit einer parareligiösen Esoterik, ergaben die nationalsozialistische Rassenlehre.
Die Naturwissenschaften, besonders die Genetik und die Evolutionsbiologie, trugen inzwischen zur Bildung eines modernen Menschenbildes bei. Wir wissen heute, dass die Ursachen für die Ungleichheit der Menschen vielfältig sind, die Natur ist jedenfalls daran beteiligt. Die Geistes- und Kulturwissenschaften scheinen davon nicht viel mitbekommen zu haben. Wenn in Deutschland jemand behauptet, dass Menschen von Natur aus verschieden sind und menschliche Populationen unterschiedliche genetische Zusammensetzungen haben, was längst empirisch belegte Erkenntnisse sind, wird in naturwissenschaftlich enthaltsamen Kreisen und leider auch öffentlich mit maßloser Windmacherei ein nationalsozialistisch motivierter „Rassismus“ beschworen. In den wissenschaftsaffinen angelsächsischen Ländern werden dergleichen Themen wesentlich unaufgeregter angegangen.