Die Tageszeitung „die Welt“ brachte vor kurzem eine erschreckende Aufstellung. In nicht weniger als 50 Staaten werden Christen verfolgt, in vielen dieser Länder ist schon der Besitz einer Bibel lebensgefährlich. Die Liste der Terrorstaaten wird von Nordkorea angeführt, dann folgen die Länder des Islams, Indien und China. Es gibt viele Motive, die man für die Christenverfolgungen des 21. Jahrhunderts anführen könnte, aber einer der entscheidenden Gründe liegt achthundert Jahre zurück.
Der Dominikaner Thomas von Aquin, er gilt heute als einer der ersten Theologen der Kirche, lebte im 13. Jahrhundert in Italien. Er studierte in Paris und reiste danach durch Europa. Er war ein tiefgläubiger Mann, aber er wusste auch, dass die Kirche reformiert werden muss, denn im Mittelalter tauchten in Europa die vergessenen Schriften antiker Philosophen auf. Die Bibel allein reichte zur Erklärung der Welt nicht mehr aus, denn inzwischen waren Tiere, Länder und chemische Elemente entdeckt worden, die in der Bibel nicht erwähnt werden. Thomas folgte seinem Lehrer Albertus Magnus, der dafür plädierte, Aristoteles in der christlichen Theologie zu berücksichtigen. Aristoteles‘ „unbewegter Beweger“ wurde daraufhin von Thomas zum christlichen Schöpfergott gemacht. Thomas philosophierte auch ausführlich über die Materie. Die Grundformen von Raum und Zeit sind laut Thomas untrennbar an die Materie gebunden, eine Erkenntnis, die Albert Einstein später glänzend bestätigte. Die absolut höchste Form ist Gott als Verursacher (causa efficiens) und als Endzweck (causa finalis). Den Menschen sah Thomas als leib-geistiges Vernunftwesen zwischen Engeln und Tieren. Das Werk „De Anima“ von Aristoteles führte Thomas zur Ansicht, die Seele des Menschen besitze den Geist als lebendige Kraft.
Thomas von Aquin hatte damit etwas Ungeheuerliches angerichtet. Es war durch ihn möglich geworden, die diesseitige Welt zu erforschen und über sie frei nachzudenken. Die Kirche behielt zwar noch einige Jahrhunderte die Oberhoheit über die Wissenschaften und schickte Abweichler wie Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen, oder stellte sie vor Gericht wie Galileo Galilei. Das freie weltliche Denken war in Europa jedenfalls entfesselt worden. Die Reformation durch Martin Luther und andere „Ketzer“, die Renaissance in Südeuropa und die Barockzeit in unseren Regionen waren direkte Folgen der aristotelischen Revolution durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin.
Die Länder, in denen Christen heute verfolgt werden, sind großteils erbärmlich rückständig. Es handelt sich also nicht nur um religiös oder ideologisch motivierte Verfolgungen. Es geht auch um den Hass auf die Siegreichen.