EHRENGÄSTE |
Die USA sind ein großes und weites Land. Beschränkt man sich bei einem Besuch nicht auf die Küsten, sondern fährt quer durch den Kontinent, dann zeigen sich die USA von einer für Europäer unbekannten Seite. Meine Frau und ich sind vor kurzem gemeinsam in Pension gegangen und haben uns einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Wir fuhren die Route 66 von Chicago bis Los Angeles in einem gemieteten Chrysler. Das erste erstaunliche Erlebnis hatten wir am Flughafen O’Hare in Chicago. Ich holte gleich nach der Ankunft den Wagen bei der Firma Alamo ab. Der Angestellte fragte mich freundlich, nachdem er gesehen hatte, dass ich Österreicher bin, welchen Beruf ich habe. Ich sagte ihm, wir seien pensionierte Lehrer (retired Highschoolteacher). Der gute Mann nahm Haltung an und versicherte uns, das sei ein sehr interessanter und wichtiger Beruf. In den nächsten Tagen hatten wir ähnliche Erlebnisse. Da die Amerikaner trotz mancher Marotten aufgeschlossene Leute sind, fragten sie meist, woher wir kämen, denn unser Akzent wies uns trotz guter Sprachkenntnisse als Europäer aus. Regelmäßig folgte ehrfurchtsvolles Staunen, wenn wir uns als ‚Highschoolteacher‘ vorstellten. In St. Louis (Staat Missouri) besuchten wir das „Science Center“, ein naturwissenschaftliches Museum, wie man es in jeder größeren amerikanischen Stadt findet. In einer Abteilung hing weit sichtbar ein Plakat an der Wand mit dem „Carol und Jerome Loeb-Prize for Excellence in Teaching Science and Mathematics“. Auf dem Plakat prangten die Fotos und Namen von zwanzig Lehrerinnen und Lehrern, darunter der Satz: „The Loeb Prize is awarded annually to teachers in St. Louis who have gone beyond the call of duty.“ Ich kenne keinen Ort in Österreich, an dem eine ähnliche öffentliche Präsentation möglich wäre, ohne dass Journalisten und Politiker dies für äußerst bedenklich hielten. Besser zu sein als andere ist in Österreich nur Schirennläufern, Tennisspielern und Fußballern erlaubt. In Oklahoma City besuchten wir das Capitol-building und meldeten uns zu einer Führung an. Wir waren schon etwas spät dran, und außer uns waren keine Besucher zu sehen. Trotzdem führte uns eine ältere Dame eine Stunde lang durch das große Haus. Wir sahen die Säle des obersten Gerichts, des Kongresses und des Senats von Oklahoma. Am Ende bedankte ich mich für die interessante Führung und versicherte, dass wir fast alles verstanden hätten, weil sie weder schnell noch undeutlich gesprochen hatte. Unsere Führerin erklärte uns, dass sie – so wie wir - eine kürzlich pensionierte Lehrerin sei. Es ist eben ein großer Beruf und es sei unsere edle und wichtige Aufgabe, der Jugend die Dinge der Welt verständlich zu erklären. Sie war erkennbar darauf stolz, eine pensionierte Lehrerin zu sein. Als ein leitender Angestellter des Museums bemerkte, dass meine Frau und ich das eine oder andere Ausstellungsstück kommentierten, kamen wir ins Gespräch. Er erklärte mir ausführlich technische Details der ausgestellten Raketen, Raumschiffe und Flugzeuge. Nachdem ich ihm gesagt hatte, dass wir frisch pensionierte Highschoolteacher sind und Biologie, Physik und Chemie unterrichtet hatten, verschwand er plötzlich. Nach einigen Minuten erschien er mit einem Foto samt Autogramm von Tom Stafford und einer schweren Gedenkmünze. Das sei für Ehrengäste vorgesehen, meinte er. Als ich verwundert antwortete, dass wir keine Ehrengäste seien, sondern europäische Touristen, erwiderte er, Naturwissenschaften unterrichtende Highschoolteacher hätten hier jedenfalls den Status eines Ehrengastes. General Tom Stafford sei zufällig gestern hier gewesen, und er hätte sich gefreut, uns zu sprechen, es wäre für ihn eine Ehre gewesen. Meine Frau und ich waren sprachlos. Ein Gespräch mit europäischen Lehrern wäre für einen der prominentesten amerikanischen Astronauten und General der US-Air Force eine Ehre gewesen. Meine Frau und ich haben uns einerseits gefreut, andererseits habe ich mich noch nie insgeheim für Österreich so sehr geschämt, wie in diesem Augenblick. Wenn ich bedenke, wie intensiv gewisse Politiker, selbsternannte „Bildungsexperten“ und ein Rudel zynischer Journalisten seit Jahren die Lehrer lächerlich machen, dann ist das ein Schandfleck für unser Land. Es ist nicht notwendig, die USA in allem zu bewundern, ganz im Gegenteil. Man mag von den Amerikanern halten, was man will, aber in Sachen Respekt und Wertschätzung können – nein: müssen wir noch von ihnen lernen. Die Art, wie in Österreich ganze Berufsgruppen, insbesondere aber die Lehrer, regelmäßig von Medien öffentlich ausgepfiffen werden, kann nur noch als verkommen bezeichnet werden. Für den nächsten – hoffentlich endlich einmal verantwortungsvollen Unterrichtsminister – herrscht akuter Handlungsbedarf. Mag. Dr. Rudolf Öller |
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