Welt der Naturwissenschaften und Politik
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Die Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden.
(Abraham Lincoln)


19. September 2025

Übersicht

ZWANZIG NACH ZWÖLF


Drei Viertel aller Schulanfänger sind in manchen Wiener Bezirken außerordentliche Schüler, weil sie kaum ein deutsches Wort verstehen. In anderen Bezirken sieht es nicht viel besser aus. Das Wort „Krise“ ist hier schon zu milde. Die Situation ist Grund genug, dass sich alle politischen Parteien zusammensetzten, um über jede Ideologie hinaus zu überlegen, was zu tun ist. In Wahrheit ist es nicht fünf vor zwölf, sondern zwanzig nach zwölf. Es geht längst nicht mehr um Reparatur, sondern nur noch um Schadensbegrenzung, sofern das noch möglich ist.

Die Erinnerungen an meine Schulzeit sind durchwachsen. Meine Lehrer, von denen die meisten in Ordnung waren, haben uns inspiriert, bisweilen auch gelangweilt. Ungerecht waren sie selten. Einer meiner Lehrer am Gymnasium war ein Narzisst, dem es Spaß machte, Schüler, die er nicht leiden konnte, zu demütigen. Ich konnte machen, was ich wollte, er stellte mich und andere regelmäßig vor der Klasse bloß. Ich kam bei ihm nie über ein Genügend hinaus. Solche Lehrer in Würde zu verabschieden wäre die beste Schulreform.

Niveauverlust

Das Problem unserer Tage scheint zu sein, dass wir von unseren Schülern wesentlich weniger fordern als noch vor einer Generation. Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, ich wünschte mehr Härte. Nichts liegt mir ferner. Ich meine eine solide Basisbildung und das Üben scheinbar banaler Dinge, wie etwa das Kopfrechnen. Neulich hatte ich 7,60 € an einem Eisstand zu zahlen. Ich zahlte mit 12,60 €, was eine gewisse Verwirrung entstehen ließ. Ein Taschenrechner löste schließlich das 5-Euro-Problem. Ich musste vor vielen Jahren in Geografie alle Hauptstädte der Welt auswendig wissen. Ich kannte (und kenne) auch alle chemischen Elemente vom Wasserstoff bis zum Plutonium samt ihren Abkürzungen. So etwas zu verlangen, wäre heute eine unzumutbare Grausamkeit, denn es gibt ja Wikipedia. Trotzdem profitiere ich heute noch von meinem vor Jahrzehnten erworbenen Wissen, obwohl sich die Welt verändert hat.

Schulstrukturen

Der größte Fehler, den vor allem Bildungs“experten“ machen, liegt in der Forderung nach Strukturänderungen im Schulbereich. Die Kulturinstitution des Gymnasiums wird in gewissen politischen Kreisen als Übel angesehen. 2008 erschien der wissenschaftliche Bestseller „Visible Learning“ von Prof. John Hattie, 2013 die deutsche Übersetzung unter dem Titel „Lernen sichtbar machen“. Die Medien berichteten über dieses Werk, aber die wesentlichsten Aussagen wurden unterschlagen. In Hatties Studie, die auf 815 Meta-Analysen basiert, wird gezeigt, dass Persönlichkeit und Qualität der Lehrer eine große Bedeutung haben, die Schulstrukturen jedoch weniger wichtig sind. Das ist nichts Neues. Die größte Überraschung offenbarte sich nur für diejenigen, die die Studie gelesen haben. Der bedeutsamste von Hattie nachgewiesene Effekt wurde nirgendwo erwähnt. Den stärksten Einfluss beim Bildungserwerb hat die Selbsterkenntnis. Wer erfolgreich sein will, darf sich selbst nichts vormachen. Die Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten ist der Beginn des Weges ins Unglück. Dazu zählen auch Eltern, die ihre Kinder in höhere Schulen mit überzogenen Erwartungen stecken und enttäuscht sind, sobald es Lehrer wagen, ihrem Nachwuchs einen anderen Schultyp zu empfehlen.

Genies

Ein Märchen, das immer wieder erzählt wird, betrifft den Schulerfolg berühmter Männer und Frauen. Wer kennt sie nicht, die Legenden von den Genies, die in der Schule allesamt Nieten gewesen sein sollen. Die eine große Wahrheit über die Genies gibt es nicht. Winston Churchill, Franz Kafka, Hermann Hesse und Thomas Mann haben die Schule gehasst. Sie kamen mit ihren Lehrern nicht zurecht. Albert Einstein, der immer ein guter Schüler war, litt in Deutschland unter der Schule, fühlte sich in der Schweiz hingegen sehr wohl. Immanuel Kant, René Descartes, Adalbert Stifter, Arthur Schopenhauer und Oscar Wilde waren gute Schüler und wurden später auch erfolgreich. Otto von Bismarck, Charles Darwin, Konrad Adenauer und Anton Tschechow waren erfolgreiche Männer, sind in der Schule aber weder positiv noch negativ aufgefallen. Eher schlechte Schüler waren Wilhelm Busch, Franz Schubert, Theodor Fontane und George Gershwin. Berühmte Männer wie Wilhelm von Humboldt, Gottfried Wilhelm Leibniz, Wolfgang Amadeus Mozart und die meisten Kaiser und Könige wurden von Vätern oder Hauslehrern erzogen. Besonders interessant ist das Schicksal von Thomas Alva Edison, Alfred Nobel, Abraham Lincoln, Benjamin Franklin und Charles Dickens. Sie wurden trotz mangelnder oder sogar fehlender Schulbildung erfolgreich.

Vier Nicht genügend

Ein besonderer Fall ist Adolf Hitler. Als ich in die achte Klasse meines Gymnasiums in Steyr kam, meinte einer der Professoren, dass wir uns auf historischem Boden befänden. Er sagte, dass „in diesem Klassenzimmer“ Adolf Hitler seine Realschullaufbahn beendet hat. Danach ist er nach Wien gegangen, um Kunst zu studieren. Der Rest ist Geschichte. In den Tagen nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Österreich (März 1938) schwärmten Beamte der Gestapo aus und beschlagnahmten in mehreren Schulen alle Unterlagen über den Schüler Hitler. Adolfs Leistungen waren in der Volksschule noch akzeptabel, wurden jedoch in der Realschule in Linz und Steyr sehr schlecht. In Linz wurde Adolf rausgeschmissen, in Steyr gerade noch akzeptiert. Sein Abschlusszeugnis zeigte in den Fächern Deutsch, Französisch, Mathematik und Stenografie ein Nicht genügend. Schriftliche Unterlagen lassen sich beschlagnahmen, gegen die mündliche Überlieferung ist kein Kraut gewachsen.

Frust

Es könnte nun der Eindruck entstehen, dass die Schule für das Leben als Erwachsener keine Rolle spiele. Das ist nicht der Fall. Meine Jahre als Schüler haben mir gezeigt, dass man lernen kann, Ungerechtigkeiten zu ertragen und zu überstehen, auch wenn es weh tut. Ich habe gelernt, den Lehrern zu vertrauen, die uns aufgebaut haben und die wenigen als negatives Vorbild in Erinnerung zu behalten, die ihren Verdruss an uns ausließen.

Eine Regierung, die an die Zukunft denkt, setzt alles daran, die Lehrerausbildung und das Image der Lehrer zu verbessern. Der aktuelle bedrohliche Lehrermangel ist in den Jahren nach der Jahrtausendwende entstanden, als nach den ersten PISA-Resultaten ein widerlicher medialer Shitstorm gegen die Lehrer losbrach, der von den damaligen Schülern bemerkt wurde. Die Folgen sind bekannt, die Verbesserungen dringlich und wegen eines immer stärker werdenden Einflusses künstlicher Intelligenz für alle herausfordernd. Die aktuellen Probleme sind nicht nur wegen der Migrantenflut gewaltig. Videant Consules!



© 2025 Rudolf Öller, Bregenz  [/2025/roe_2536]


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Helden der Wissenschaft:
Max Delbrück
(1906-1981)
untersuchte Bakteriophagen (eine spezielle Gruppe von Viren) und wurde damit zu einem Pionier der Virenforschung und Virengenetik.

 


Rudolf Oeller:

Typhon District

Thriller über eine Gruppe von Wissenschaftlern, die an ihrem eigenen Projekt zugrunde ging.
Europa Verlagsgruppe. ISBN 9791220149914

Als Ben, ein Molekularbiologe, um Hilfe gebeten wird, weil die Schimpansenweibchen im Zoo keinen Nachwuchs bekommen, ahnt er noch nicht, dass seine Welt bald aus den Fugen geraten wird. Die Ursache der Zeugungsunfähigkeit ist nämlich eine Chromosomenmutation der Affendamen, und die bringt seinen Chef auf eine folgenreiche Idee. So entsteht das unter Verschluss gehaltene Projekt Typhon District, benannt nach einem Hybridmonster aus der Mythologie. Erst allmählich kommen bei Ben und seinem internationalen Team Zweifel auf. Doch da sind sie bereits tief in einem Strudel von Geld und Machtgier, Manipulation und Skrupellosigkeit gefangen. Nicht nur ihre eigenen Leben sind bedroht. Als sie das bemerken, ist es bereits zu spät.

Das Buch ist sowohl im Handel als auch im Internet erhältlich.
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