Welt der Naturwissenschaften
(Scientific Medley)

 Jahresübersicht 2022

Die Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann gestatten kann.
(Otto von Bismarck)


19. April 2024


Übersicht

PUTINS KRIEG


Sehr geehrter Herr Präsident Putin!

Ich habe die Sowjetunion als junger Student bereist, als sie noch stolz und mächtig war. Der Putz war damals schon weg. Die wenigen Jahre des technischen Fortschritts in der Raumfahrt hat die Sowjetunion dem genialen Ukrainer Sergej Koroljow zu verdanken. Die NATO-Generäle haben in den Achtzigerjahren durch den legendären KGB-Oberst Wetrow, der alle wesentlichen KGB- und Militär-Interna dem Westen verraten hatte, längst gewusst, dass die Sowjetunion ein Koloss auf tönernen Füßen war: Es war eine Zwei Klassen-Gesellschaft, in der sich die „Nomenklatura“ der Partei in Spezialgeschäften alles kaufen konnte. Der Rest des Volkes war bitterarm.

Es kam, wie es kommen musste. Der Koloss mit der Atombombe in der Hand ist mangels an fortschrittlicher Technik, mangels an Perspektiven, mangels an Hoffnung und mangels an Attraktivität zusammengebrochen.

Sie, Herr Präsident, waren damals, als der Sowjetkommunismus kollabierte, ein Beamter des KGB in Ostberlin im mittleren Befehlsbereich. Der Zerfall Ihres Reiches war für Sie eine Katastrophe. Präsident Gorbatschow, der nach dem Niedergang das Reich doch noch retten wollte, hat es gut gemeint, aber gut gemeint ist fast immer das Gegenteil von gut. Gorbatschow ist ein Mann von Ehre, aber er ist gescheitert. Glasnost und Perestroika waren den Versuch wert, konnten aber nach Jahrzehnten der Diktatur nicht funktionieren.

Dann kam Präsident Jelzin, der mit dem Kommunismus ein für alle Mal aufgeräumt hat. Jelzin war bekanntermaßen nicht mehr der Präsident der Sowjetunion, sondern Ihr Vorgänger in der russischen Föderation. Er erschien zunächst als passabler Freiheitskämpfer, als er – auf einem Panzer stehend – im Oktober 1993 vor dem „weißen Haus“ in Moskau die neue freie Zukunft von Russland proklamierte.

Boris Jelzin hatte jedoch zwei Probleme.

Erstens war er Alkoholiker. Wer mit ihm vernünftig reden wollte, musste vor 11 Uhr bei ihm erscheinen. Spätestens ab Mittag ging nichts mehr.
Zweitens wollte Jelzin in Russland den Kapitalismus westlichen Bauart einführen. So etwas kann in einem Land ohne demokratische Tradition, ohne freie Wirtschaft, ohne gewachsenes Bankenwesen unmöglich gut gehen. Jelzin wollte die Machtbasis der alten kommunistischen Nomenklatura - das Staatseigentum an der Volkswirtschaft - brechen. Jeder Russe erhielt einen Anteilschein zur Privatisierung der Betriebe. Die meisten Menschen wussten nicht, was das ist und verscherbelten ihre Papiere an raffinierte Kerle, die schnell merkten, dass man hier mit wenig Geld zu großem Geld kommen konnte. So entstanden die legendären russischen Oligarchen. Sie haben sich kurzerhand am armen und unwissenden Volk bedient und wurden zu Milliardären. Gerechtigkeit sieht anders aus. Wieder hat es ein russischer Politiker gut gemeint und musste scheitern.

Jetzt kamen Sie ins Spiel, Herr Präsident! Im Januar 1999 rief Boris Jelzins Stabschef Staatsanwalt Skuratow zu sich und zeigte ihm ein Video, auf dem ein Mann, der Skuratow ähnelte, auf einem Bett mit zwei Prostituierten zu sehen ist. Skuratow wurde zum Rücktritt aufgefordert, weil er zu dem Zeitpunkt gegen die Jelzin-Regierung wegen Annahme von Schmiergeldern ermittelte. Die Videoaufnahme war unscharf und Skuratow bezeichnete sie als Fälschung. Der Fall wurde nie untersucht und nie aufgeklärt. Wurscht, würden wir Österreicher sagen. Skuratow wurde entfernt, Jelzin war gerettet. Es gibt das Gerücht, dass Sie, sehr geehrter Herr Präsident, damals schon auf Ersuchen Jelzins ihre alten Beziehungen zum KGB spielen ließen, um Skuratow fertig zu machen. Präsident Jelzin, krank an Leib und Seele, hat Sie aus Dank zu seinem Nachfolger auserkoren.

Sie, Herr Präsident, wollten Ihre Welt, die alte Sowjetunion, wieder errichten und mussten mit ansehen, wie ihre ehemaligen Satellitenstaaten der Reihe nach der EU, der NATO oder beiden Organisationen beigetreten sind. Das ist verständlich, denn die Bewohner der ehemaligen kleinen und von der Sowjetunion einverleibten Staaten haben Angst. Berechtigte Angst. Sie wollen ihre Freiheit nicht mehr verlieren. Besonders deutlich ist das in den baltischen Staaten, aber nicht nur dort, zu spüren.

Vor Jahren wurden sie hofiert, überall eingeladen und durften sogar in der Steiermark mit einer Außenministerin tanzen. Ihre offen vorgetragene Meinung über gewisse dekadente Entwicklungen im Westen, wie etwa der Genderismus mit seinen vermeintlich dutzenden Geschlechtern, hat manchen nicht gefallen, aber bei vielen Zeitgenossen haben Sie bis heute Sympathien geweckt. Trotzdem waren und sind Sie der Meinung, dass sie von oben herab behandelt wurden.

Nun wollen Sie die Ukraine heim ins große Reich holen, aber die Bewohner der Ukraine wollen nicht schon wieder eine Kolonie Russlands werden. Ihr Märchen von einer alkoholkranken ukrainischen Nazi-Regierung, von der Sie die Ukraine „befreien“ wollen, ist nur noch lächerlich. Sie haben einen Krieg begonnen, der soeben in eine Serie schwerer Kriegsverbrechen mündet.

Es ist Ihre Sache, Herr Präsident, wenn Sie und Ihre Mittäter als erste Kriegsverbrecher des 21. Jahrhunderts in die Geschichte eingehen werden. Dass aber das an Kultur reiche russische Volk und die relativ kleine Ukraine schon wieder in einen Krieg gezogen werden, ist eine Schande. Einige Leute im Westen glauben, dass die NATO sie dazu gezwungen hat, aber diese Narren spielen zahlenmäßig keine Rolle. Der Krieg, den Sie befohlen haben, ist nicht Russlands Krieg, es ist Ihr Krieg - der Krieg eines Verlorenen, der zwei Völker ins Unglück stürzt. Pjotr Iljitsch Tschaikowski, Lew Tolstoi, Boris Pasternak, Dmitri Mendelejew, Konstantin Ziolkowski und andere große Russen haben sich bereits unter Stalin im Grab umgedreht. Jetzt kommen einige Rotationen dazu.

Sollte es Ihnen mit Ihren Kriegsverbrechen gelingen, die Ukraine zu besiegen, dann denken Sie wenigstens an den Satz des großen Mahatma Gandhi: „Was man mit Gewalt nimmt, kann man nur mit Gewalt halten“.



© 2022 Rudolf Öller, Bregenz  [/2022/roe_2209]


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