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NOBELPREISE 2019: MEDIZIN


Das von Pflanzen und Cyanobakterien als Stoffwechselprodukt freigesetzte Element Sauerstoff war für die ersten nicht pflanzlichen Lebewesen ein Problem. Sauerstoff ist so reaktionsfreudig, dass er sogar lästig wird, wenn beispielweise Geländer und Autos rosten. Der Name kommt von "Oxygenium" (chemisches Zeichen O), als Chemiker noch irrtümlich geglaubt haben, dass alle Säuren den "Säurebildner" enthalten. Das ist zwar oft der Fall, aber nicht bei allen Säuren.

Sauerstoffmangel

Irgendwann im Laufe der Evolution lernten Zellen, den Sauerstoff zur Verbrennung von organischen Stoffen zu verwenden. Vom ursprünglich giftigen Gas sind wir abhängig geworden. Der Sauerstoffgehalt der Luft - normal sind 20% - kann schwanken. Wer jemals im Himalaja oder in den Anden auf über 4.500 Metern Seehöhe herumgewandert ist, weiß, wie unangenehm Sauerstoffmangel werden kann.

Drei Biochemikern, die die Reaktion von Zellen auf Sauerstoffmangel untersucht haben, wurde in diesem Jahr der Nobelpreis für Medizin und Physiologie zugesprochen. Es sind zwei Amerikaner, Harvard-Professor William Kaelin (* 1957), John Hopkins-Professor Gregg Semenza (* 1956) und der Brite Sir Peter Ratcliffe (* 1954), Professor in Oxford.

Epo

Das für die Reaktion auf Sauerstoffmangel wichtigste Enzym ist Erythropoetin, bekannt auch unter den Bezeichnungen Hämatopoetin, Epoetin oder Epo. Letztere Bezeichnung gelangte durch Dopingskandale zu zweifelhaftem Ruhm. Das Enzym ist schon lange bekannt als Wachstumsfaktor für rote Blutkörperchen während der Blutbildung. Nach Blutverlust und bei höherem Bedarf an roten Blutkörperchen in große Höhen wird es aktiv. Biotechnisch hergestelltes Epo wird auch als Medikament bei der Behandlung von Blutarmut eingesetzt.

Gregg Semenza und Peter Ratcliffe erforschten das Gen, nach dessen Code das Epo zusammengebaut und aktiviert wird. Der Proteinkomplex, der das Epo-Gen steuert, wurde von Semenza "Hypoxia inducible factor" (HIF) genannt. Die Frage, wie das HIF-Protein erkennt, dass zu wenig Sauerstoff vorliegt, klärte William Kaelin. Eine erbliche Mutante des Proteins VHL ("Von-Hippel-Lindau") spielt bei bestimmten Krebserkrankungen eine Rolle. Kaelin entdeckte, dass in Krebszellen, in denen ein fehlerhaftes VHL-Gen vorliegt, diejenigen Gene besonders intensiv arbeiten, die auch bei Sauerstoffmangel aktiv werden.

Die von den drei Nobelpreisträgern entschlüsselten biochemisch-genetischen Vorgänge sind kompliziert. Krebszellen benutzen sie sogar, um die Bildung von Blutgefäßen für ihr tödliches Werk zu starten. Vielleicht gelingt es eines Tages, diesen Mechanismus in Krebszellen zu blockieren. Das ergäbe einen weiteren Nobelpreis.




© 2019 Rudolf Öller, Bregenz  [/2019/roe_1947]


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(1821-1894)
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