Welt der Naturwissenschaften

Eine Sammlung schräger Witze

29. März 2024

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DER ZWEITE ERZIEHUNGSWEG

Ich war männlich, verwegen, ich war frei und hatte lange Haare.

Meine Frau lernte mich kennen, nicht umgekehrt.
Sie stellte mir förmlich nach. Egal wo ich hinkam, sie war schon da.
Das ist nun zwölf Jahre her.
Damals war ich eingefleischter Motorradfahrer, trug schwarze Sweat-Shirts, ausgefranste Jeans und Bikerstiefel. Und ich trug lange Haare.

Selbstverständlich hatte ich auch ein Outfit für besondere Anlässe. Dann trug ich ein schwarzes Sweat-Shirt, ausgefranste Jeans und weiße Turnschuhe.

Hausarbeit war ein Übel, dem ich, wann immer es möglich war, aus dem Weg ging.

Aber ich mochte mich und mein Leben. So also lernte sie mich kennen:
"Du bist mein Traummann. Du bist so männlich, so verwegen und so frei."

Mit der Freiheit war es alsbald vorbei, da wir beschlossen hatten zu heiraten.
Warum auch nicht, denn ich war männlich verwegen, fast frei und ich hatte lange Haare.

Allerdings nur bis zur Hochzeit. Kurz vorher hörte ich sie sagen: "Du könntest wenigstens zum Frisör gehen, schließlich kommen meine Eltern zur Trauung." Stunden, - nein Tage später und nach endlosen Tränen gab ich nach und ließ mir eine modische Kurzhaarfrisur verpassen, denn schließlich liebte ich sie.
Und was soll's, ich war männlich, verwegen, fast frei und es zog auf meinem Kopf. Und ich war sooo lieb.

"Schatz ich liebe Dich so wie Du bist" hauchte sie.
Das Leben war in Ordnung, obwohl es auf dem Kopf etwas kühl war. Es folgten Wochen friedlichen Zusammenseins, bis meine Frau eines Tages mit einer großen Tüte unterm Arm vor mir stand. Sie holte ein Hemd, einen Pollunder (bei dem Wort läuft es mir schon eiskalt den Rücken runter) und eine neue Hose hervor und sagte: "Probier das bitte mal an." Tage, Wochen, nein Monate und endlose Papiertaschentücher weiter gab ich nach, und trug Hemden, Pollunder (arrrgh) und Stoffhosen.

Es folgten schwarze Schuhe Sakkos, Krawatten und Designermäntel.
Aber ich war männlich, verwegen, totchic und es zog auf meinem Kopf.

Dann folgte der größte Kampf. Der Kampf ums Motorrad. Allerdings dauerte er nicht sehr lange, denn im schwarzen Anzug der ständig kneift und zwickt lässt es sich nicht gut kämpfen. Außerdem drückten die eleganten schwarzen Schuhe, was mich auch mürbe machte.
Aber was soll's, ich war männlich, spießig, fast frei, ich fuhr einen Kombi, und es zog auf meinem Kopf.

Mit den Jahren folgten viele Kämpfe, die ich allesamt in einem Meer von Tränen verlor. Ich räumte die Wohnung auf, leerte den Mülleimer, spülte Geschirr, kaufte ein, lernte deutsche Schlager auswendig, trank französischen Rotwein und ging Sonntags spazieren.
Was soll's dachte ich, ich war ein Weichei, gefangen, fühlte mich beschissen und es zog auf dem Kopf.

Eines schönen Tages stand meine Frau mit gepackten Koffern vor mir und sagte: "Ich verlasse Dich."
Völlig erstaunt fragte ich sie nach dem Grund.
"Ich liebe Dich nicht mehr, denn Du hast Dich so verändert. Du bist nicht mehr der Mann den ich mal kennengelernt habe."

Vor kurzem traf ich sie wieder. Ihr Neuer ist ein langhaariger Biker mit zerrissenen Jeans und Tätowierungen. Er sah mich mitleidig an. Ich glaube ich werde ihm präventiv eine warme Mütze schicken.

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Rudolf Oeller:

"Theke, Antitheke, Syntheke"
(Thriller über eine tragikomische Stammtischrunde auf dem Weg in den Tod)
Verlag novum, Zürich. ISBN 978-3-99130-025-0

"Wir waren eine großartige Bande von Stammtischbrüdern an der deutsch-österreichischen Grenze, auch zwei Stammtischschwestern waren dabei. Wir pfiffen auf alle Corona-Bestimmungen und trafen uns an jedem Freitag – eine verschworene Truppe, fast schon ein Dream Team. Drink Team trifft es allerdings besser. Voll Hoffnung starteten wir ins Coronajahr 2020, am Ende wurde es eine teils fröhliche, teils depressive Reise in den kollektiven Tod."

Das Buch ist bei Amazon, bei anderen Online-Händlern, beim Verlag und auch im Buchhandel erhältlich.

Interview zum Buch