Welt der Naturwissenschaften
(Scientific Medley)

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(Ernesto Cardenal)


26. April 2024


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VON BURGESS BIS BETHLEHEM


Was wäre geschehen, wenn dem im Evangelium erwähnten Kindermord von Bethlehem der kleine Jeschua (so hieß Jesus in Wahrheit) zum Opfer gefallen wäre? Historiker verweisen darauf, dass der Kindermord von Bethlehem kritisch zu hinterfragen ist, weil König Herodes vier Jahre vor Christi Geburt gestorben ist. Wir lassen dieses Problem beiseite und überlegen uns weitere ähnliche „was-wäre-wenn-Fragen“, denn diese zeigen auf mitunter erschreckende Weise, welch geringe Anlässe genügen, um dem Gang der Geschichte eine Wendung zu geben.

Wäre die spanische Armada im 16. Jahrhundert nicht vernichtet worden, dann wäre Spanien und nicht England zur Weltmacht geworden. Wäre Marschall Grouchy seinem Kaiser Napoleon bei der Schlacht von Waterloo zu Hilfe geeilt, hätte Napoleon die Schlacht gewonnen. Die Geschichte wäre anders verlaufen. Doch das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu den großen Ereignissen. Vor 65 Millionen Jahren starben im Zuge einer globalen Katastrophe Ammoniten, Belemniten, Saurier und andere Tiergruppen aus. Hätte es alle Reptilien erwischt, was im Bereich des Möglichen lag, dann gäbe es heute keine Eidechsen, Krokodile, Schlangen und Schildkröten. Als am Ende des Erdaltertums vor 245 Millionen Jahren Trilobiten (Dreilapperkrebse) und viele andere Lebewesen verschwanden, überlebte eher zufällig eine kleine Wirbeltierfamilie, die Therapsiden. Ohne sie gäbe es heute keine Säugetiere.

Die Burgess-Schiefer in den kanadischen Rocky Mountains zählen zu den weltweit bedeutendsten Fundstätten von Fossilien. In diesen Gesteinen aus der Kambrium-Zeit vor rund 500 Millionen Jahren findet man Lebewesen, die man keinem der heutigen Tierstämme zuordnen kann. Unter den Burgess-Fossilien ist auch ein kleines Lebewesen namens Pikaia gracilens. Biologen haben es als das älteste Chordatier identifiziert. Chordatiere sind die Vorfahren aller Wirbeltiere. Hätte Pikaia das gewaltige Kambrium-Massaker, eines der größten Massensterben überhaupt, nicht überlebt, so gäbe es heute keine Forellen, keine Frösche, keine Eidechsen, keine Wellensittiche, keine Hunde, Katzen, Pferde. Auch uns Menschen gäbe es nicht. Nur Würmer, Spinnen, Seesterne und andere Wirbellose.

Die Weihnachtsgeschichte, oft als Inbegriff einer Friedensgeschichte gedeutet, zeigt auf der Rückseite der Medaille den Kindermord von Bethlehem. Jeschua von Nazareth zählte damals zu den Überlebenden. Auch Pikaia hat glücklich überlebt und damit vor sehr langer Zeit der Geschichte des Lebens eine Richtung gegeben. Egal, ob wir das als Schicksal oder Fügung sehen - die Grenze zwischen Leben und Untergang ist schmal. Die Liste der Namenlosen, die es nicht geschafft haben, ist endlos.




© 2007 Rudolf Öller, Bregenz


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Rudolf Oeller:

"Theke, Antitheke, Syntheke"
(Thriller über eine tragikomische Stammtischrunde auf dem Weg in den Tod)
Verlag novum, Zürich. ISBN 978-3-99130-025-0

"Wir waren eine großartige Bande von Stammtischbrüdern an der deutsch-österreichischen Grenze, auch zwei Stammtischschwestern waren dabei. Wir pfiffen auf alle Corona-Bestimmungen und trafen uns an jedem Freitag – eine verschworene Truppe, fast schon ein Dream Team. Drink Team trifft es allerdings besser. Voll Hoffnung starteten wir ins Coronajahr 2020, am Ende wurde es eine teils fröhliche, teils depressive Reise in den kollektiven Tod."

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